Das Abschalten der deutschsprachigen Mittel- und Langwellensender bedauere ich sehr.
1) Einmal aus nostalgischen Gründen: Mit dem selbstgebauten Detektor-Empfänger war Rundfunkempfang so richtig begreifbar. Und damit der Einstieg in die Technik überhaupt. Einen Selbstbau-DAB-Empfänger habe ich noch nicht gesehen, auch dürfte die Technik dahinter nicht mehr begreifbar sein, sondern in Silizium und Software gegossen sein. Schön war bei Mittelwelle auch, die Übertragung, Übertragungsstörungen, eben die Distanz zum Sender durch die schwankende Empfangsqualität begreifen zu können. Heute kann man sich wenigstens mit SDR beispielsweise Wasserfalldiagramme anschauen und ganze Bänder speichern. Beachtlich, aber nicht vergleichbar.
2) Zur Begeisterung technischen Nachwuches sind die neuen Technologien nicht geeignet. Viel zu komplex. Eben nicht be-greif-bar, sondern reine Consumer-Produkte.
3) Bei Auslandsaufenthalten habe ich zwar noch die Pflicht, weiterhin meine Haushalts-GEZ-Abgabe zu zahlen, aber kein Recht und keine einfache Möglichkeit mehr, ein deutsches Programm zu hören. Das war mit Kurzwellenprogrammen diverser deutscher Sender und auch der DW früher eine gute Sache. Mit dem Rucksack-Radio war mancher zu begeistern, es gab eine regelrechte Kultur von Weltempfängern. Mit denen man dann auch zuhause (völlig andere!) Nachrichten ausländischer Sender hören konnte, oft auch auf Deutsch. Heute haben wir eben das Händie und WhatsApp und Auslandstarife und...
4) DAB ist für mich uninteressant, seit es DAB+ gibt. Denn auch ich habe kein Interesse an noch mehr Elektronikschrott durch die nächste Evolutionsstufe DAB-HD oder was-auch-immer. Auch fand ich die DAB-Tonqualität nicht so überragend im Vergleich zu UKW. Es gab zumindest bei DAB ohne Plus häufig arge Artefakte, Zischeln usw. durch starke Komprimierung. Das Zischeln fand ich unangenehmer als den dunklen Mono-Klang der Mittelwelle, gerade bei Sprachsendungen.
5) Im innerdeutschen Urlaub hätte ich nun am Urlaubsort erst einen DAB-Suchlauf starten müssen, um die dortigen MUXe einzulesen. Dabei wären die Heimat-Einstellungen überschrieben worden, was ich als lästig empfinde. Ob dann die entfernten DAB-Sender überhaupt in der Tallage ohne Außenantenne empfangbar gewesen wären, weiß ich nicht.
6) Also Webradio. Geht im Ausland nicht am Strand oder zumindest nur mit erheblichen Kosten. Ging auch im innerdeutschen Urlaub nicht, denn da kam genau eine Sendung, die ich anhören wollte, und offenbar Tausende andere auch hören wollten. Mit dem Erfolg, dass es immer längere Aussetzer gab und der Empfang schließlich ganz abgerissen ist. Da war der Schwund (Fading) bei Mittelwelle eine wesentlich akzeptablere, weil weniger plötzlich-unvermutete Empfangsstörung.
Da zahle ich also für zuhause, wo ich gar nicht bin, GEZ-Gebühren, dann über die Hotelkosten ein zweites Mal, und dann funktioniert es nicht. Auch zuhause wäre der Empfang nur noch über DAB oder Webradio (nicht) möglich gewesen. Das weckt bei mir den Eindruck, dass die "Empfangbarkeit" heute gar kein Kriterium mehr darstellt, sondern nur der gesicherte Gebühreneinzug.
7) Im Auto gibt es keinen DIN-Schacht mehr, und wie von noone schön dargestellt, werde auch ich mir weder ein neues Auto kaufen noch eine sündteure Sonderlösung, die spätestens mit der nächsten DAB-Generation wieder Müll ist.
DLF habe ich, gerade auch im Auto, gerne über Mittelwelle gehört, weil es über lange Strecken ohne Sendersuche funktionierte, auch im Ausland. Über UKW senden sie hier nur über eine entfernte Funzel, sind nun also weitgehend unhörbar.
9) Insgesamt hat mein Radio-Konsum überhaupt dramatisch abgenommen, weil
- Dudelfunk mit immer der gleichen Konserven-Musik (Last Christmas...)
- Ekelig laute Kompression mit Optimod
- Werbung auch auf den gebührenfinanzierten Sendern
- Idiotische Vermengung von Information und Unterhaltung zu Infotainment. Ich möchte mich aber entweder gezielt informieren, was eine gewisse Anstrengung bedeutet, oder aber Unterhaltung zur Entspannung. Durch die Vermischung habe ich jeweils drei Minuten Wunschprogramm und dann wieder drei Minuten Zwangspause. Absolut nervend.
- Neue Informationswege wie das Internet geben mir den viel schnelleren Zugriff auf benötigte/gewünschte Informationen.
- Neue Medien wie Download-Dienste und MP3-Dateien lassen mich genau die Konserven hören, die ich mag, in der von mir gewählten Reihenfolge und Qualität.
Gerade deshalb übrigens hat mir Mittelwelle als Ergänzung sehr gut gepasst. Mal schnell über den Tellerrand geschaut, aktuelle Infos eingeholt, und dann im Zweifel wieder zurück zur eigenen Konserve. Oder eben zum Ausschalter.
10) Bleibt zu hoffen, dass es keine langen Stromausfälle geben wird. Dann haben all die Bergfunker hier noch ihren Akku fürs Funkgerät und alle anderen Handfunkgeräte bereit, aber Telefon, Händie, Internet, Fernsehen und eben auch Radio - Tschüss. Das finde ich besonders kurz gedacht bei der MW-Abschaltung. Wer war im Münsterland bei der Schneekatastrophe dabei? Waren da die UKW-Sender aus der Nachbarschaft noch gut empfangbar? Das DAB-Radio hätte jedenfalls spätestens nach sechs Stunden wegen leeren Akkus aufgegeben.
11) Natürlich war die Hörerschar gerade für Mittelwelle zuletzt nur noch gering. Die Abschaltung traf also vorwiegend Enthusiasten und nicht die breite Masse, die vermutlich selbst im Katastrophenfall erst wieder hätte lernen müssen, was Mittelwelle überhaupt ist, das Vorhandensein eines tauglichen Empfängers vorausgesetzt. Das muss man fairerweise sagen.
Insgesamt denke ich, wird sich die Medienlandschaft durch das Internet und jedermanns eigene Konserven weiter ändern. In zehn Jahren sind lineare Programme, also vorgegebene Radio- und Fernsehprogramme, vielleicht auch nur noch Nischenprodukte.
@ Foliant: Wenn ich mich recht entsinne, gibt es DVB-T-Sticks, die auch DAB(+) empfangen können. Das wäre die vermutlich preisgünstigste Hardware-Lösung, wobei zu beachten ist, dass DVB-T ja nun durch DVB-T2 abgelöst wird und die alten Sticks zumindest in ihrer originären Anwendung für den TV-Empfang zu Elektronikschrott werden - sofern nicht der DAB-Empfang reicht oder sie auch für SDR einsetzbar sind.